5. Zürcher Hausärztetag, 6. Oktober 2022

Ein eventuelles Gobalbudget: Fluch oder Segen in der Kostensteuerung? Auswirkungen auf die Grundversorgung im Kanton Zürich

Der Zürcher Hausärztetag dient als Austauschplattform von Medizin und Politik im Kanton Zürich. In diesem Jahr lag der thematische Fokus auf den steigenden Kosten im Gesundheitswesen. Denn in den vergangenen Monaten und Wochen wurden dazu gesundheitspolitische Diskussionen auf verschiedenen Ebenen geführt. Mehrere Massnahmenpakete zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen befinden sich derzeit in Bearbeitung durch Verwaltung und Parlament. Sie enthalten Massnahmen zur Kostensteuerung. Verschiedentlich wurde die Einführung eines Globalbudgets gefordert.
 
Rolf Temperli, Vorstandsmitglied mfe Haus- und Kinderärzte Schweiz, stellte die vermeintliche Kostenexplosion im Gesundheitswesen in seinem Referat in einen grösseren Zusammenhang und relativierte den in den Medien beschriebenen Kostenanstieg, insbesondere in der obligatorischen Krankenversicherung. Die Hausarztmedizin spielt bei der Ausgestaltung eines kosteneffizienten Gesundheitswesens eine zentrale Rolle. Nicht ohne Grund: Eine Studie des Instituts für Hausarztmedizin Zürich belegt, dass Haus- und Kinderarztpraxen 94.3 % der Gesundheitsprobleme ihrer Patient:innen  selber lösen, das heisst ohne weitere Überweisung an andere Fachspezialist:innen. Ausserdem verursachen die Hausärzti:nnen und Kinderärzt:innen nur 7.9% der gesamten Gesundheitskosten. Auswirkungen auf die haus- und kinderärztliche Grundversorgung durch das Globalbudget in der Grundversorgung aufzuzeigen sei gemäss Temperli schwierig. Dabei wäre die Frage zentral, welches Leistungsangebot man vermindern sollte und bei wem. Würde man das Personal reduzieren, wären die Auswirkungen fatal, das könne man am jetzigen Fachkräftemangel bereits beobachten. Löhne zu kürzen wäre langfristig kontraproduktiv. Eine höhere Kostenbeteiligung der Patient:innen verortete Temperli als unpopulär in Bevölkerung und Politik. «Das Kostenwachstum in der OKP passiert über das Mengenwachstum. Sollte die Politik auf die Idee kommen, den Haus- und Kinderärzten mittels regressiver Tarife oder mittels Eingriffes in den neuen Tarif TARDOC die Löhne weiter zu kürzen, wäre das ein deletäres Signal an unsere potenziellen aber immer noch spärlichen Nachfolger und der Todesstoss für unser qualitativ ausserordentlich hochstehendes, allen zugänglichen Gesundheitssystems.», so Temperli.
 
Felix Schneuwly, Head of Public Affairs comparis.ch, zog zu Beginn seines Vortrags eine Zwischenbilanz zu den Zielen des Krankenversicherungsgesetztes, das 1996 eingeführt wurde. Während alle Versicherten von kurzen Wegen und Wartezeiten profitieren und das Solidaritätsprinzip funktioniere, halte das KVG sein Versprechen einer Kostenbegrenzung (Prozentual stärkeres Wachstum als Gesundheitskosten total und gemessen am BIP) und einer transparenten Qualität nicht ein. Jedoch erhalte das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich immer wieder gute Noten von der Schweizer Bevölkerung. Zudem würden die Gesundheitskosten gemessen am BIP im internationalen Vergleich auch in anderen Industrieländern steigen. Dies sei dem wissenschaftlichen Fortschritt geschuldet: Heute könnten, im Vergleich zu früher, viele Krankheiten geheilt oder zumindest gelindert werden.

Dr. med. Peter Indra, Leiter Amt Gesundheit des Kantons Zürich präsentierte wiederum die Strategie des Kantons, die vermehrt auf eine integrierte Versorgung setzt. Das Amt möchte die (medizinische) Grundversorgung weiterhin stärken. Ein Mittel dazu sei die Förderung der Hausarztmedizin über subventionierte Praxisassistenzstellen (2023 sind dies 48). Zudem soll der maximale Spielraum bei den Zulassungsbestimmungen genutzt werden und Haus- und Kinderärzte sollen davon ausgenommen werden.
 
Die Erhöhung der Praxisassistenzstellen war ein gemeinsames Anliegen von mfe Zürich, der Vereinigung Zürcher Kinder- und Jugendärzte (VZK) sowie dem Institut für Hausarztmedizin (IHAMZ), welches 2021 an die Gesundheitsdirektion getragen wurde. 2023 wird der Kanton 48 Praxisassistenzstellen finanzieren[1] ! Damit hat der Kanton seit Januar 2022 das Kontingent von 42 (inkl. Pädiatrie) nochmals um sechs Stellen erhöht.
 
Gäste bei der anschliessenden Diskussion waren Prof. Dr. med. Karin Fattinger, Ärztin und Vorstandsmitglied der Patientenstelle Zürich und des Dachverbands Schweizerischer Patientenstellen sowie Ruedi Bodenmann, CEO, Assura. Karin Fattinger betonte, dass es im Gesundheitswesen echte Transparenz brauche. Dafür seien entsprechend aussagekräftige Qualitätsindikatoren und echte Outcome-Daten notwendig. Diese müssten erfasst, ausgewertet, verglichen und publiziert werden. Auch Ruedi Bodenmann, Vertreter der Krankenkassen in der Diskussionsrunde, stimmte dem zu. Ausserdem sei der Dialog unter den verschiedenen Playern im Gesundheitswesen wesentlich und solle beibehalten und zusätzlich gefördert werden.

Beim anschliessenden Apéro konnten die Teilnehmer:innen ihre gewonnenen Erkenntnisse vertieft diskutieren. Wir freuen uns bereits jetzt auf den 6. Zürcher Hausärztetag 2023!


[1] gemäss Angaben v. Peter Indra